Seefisch

Einer der Dreh- und Angelpunkte in der Region Lugano, sowohl in geografischer als auch in gastronomischer Hinsicht, ist sicherlich der Luganer See, der ideale Lebensraum für die Entwicklung verschiedener Fischarten, die die Kultur dieser Region so nachdrücklich geprägt haben. Heute werden Süsswasserfische oft als Fische zweiter Klasse angesehen, obwohl ihre Nährwerte oft höher sind als die der edleren Meerfische. Die Gründe hierfür reichen mehrere Jahrhunderte zurück. In der Vergangenheit galt das Essen nämlich als wichtiges Instrument der sozialen Differenzierung: Lokale Speisen waren ein Zeichen für Armut. Sie zeigten, dass man sich Lebensmittel, die von weit her kamen, nicht leisten konnte. Diese Einstellung hat sich, trotz der historisch grossen Zahl an Rezepten und Zeugnissen, aufgrund des zunehmenden wirtschaftlichen Wohlstands der Bevölkerung und der besseren Verfügbarkeit von Meeresfischen allmählich verfestigt. In unseren heutigen Tagen hat sich die Situation allerdings komplett gewandelt. Der See ist inzwischen ein schützenswertes Gut, ebenso wie die gastronomischen Traditionen, die eng mit ihm und der Kultur unserer Region verbunden sind. 

Aber gehen wir einen kleinen Schritt zurück: Wie bereits erwähnt, ist die Geschichte des Seefisches und seiner Nutzung untrennbar mit den ureigenen Traditionen der Menschen verbunden, die in diesem Gebiet lebten. Seit der Römerzeit gilt der Fisch aus unseren Gewässern als ein Schatz und eine Besonderheit dieser Gegend. Er bildete sogar eine der wichtigsten Einnahmequellen für die Bevölkerung, die grösstenteils aus Fischern bestand. Im Laufe der Zeit sind unzählige Generationen von Luganern mit dem Gefühl aufgewachsen, dass ein Teller mit Fisch aus dem See, ob Carpione oder Frittura, eine fast altehrwürdige Tradition war, die an Kinder und Enkel weitergegeben werden sollte. In der Praxis hat man sich jedoch nie die Frage gestellt, wie diese bedeutende Säule unserer Identität bewahrt werden kann. Erst in den letzten Jahren haben sich verschiedene Initiativen und Verbände um die Förderung eines Produkts bemüht, das in jeder Hinsicht als eine der Grundlagen der Tessiner Gastronomie angesehen werden kann. Und nicht nur das. In der Tat kann man dies auf alle insubrischen Regionen übertragen, die mit der Region Lugano die kulinarischen Wurzeln teilen und eine sehr ähnliche regionale Struktur aufweisen. So huldigte der Schriftsteller Manzoni «Jenen Arm des Comer Sees» ("Quel Ramo del Lago di Como") und beschrieb in einem seiner bekanntesten Werke ein Gebiet und ein soziokulturelles Umfeld, das dem von Lugano sehr ähnlich ist. Der Fischbestand in unserem See hat sich gegenüber früher verringert, aber Felchen, Zander, Forelle, Döbel, Stör, Missultin, Gardon, Aal, Quappe, Schleie sind nur einige der erstklassigen Arten, die im Luganer See gefischt werden. In den Restaurants der Region werden diese sowohl als traditionelle Spezialitäten zubereitet als in innovativen Gerichten mit Techniken aus anderen kulinarischen Gebieten verarbeitet. So kann jeder, der die Region Lugano besucht, die Speisen probieren, die die Identität dieses Gebiets geprägt haben. 

Süsswasserfisch ist ein Lebensmittel mit hervorragenden organoleptischen Eigenschaften: Er ist zum Beispiel ein ausgezeichneter Ersatz für andere eiweisshaltige Lebensmittel tierischen Ursprungs, von denen er sich durch seine andere Lipidstruktur (andere Fettsorten) unterscheidet. Er ist reich an Omega-3-Fettsäuren, einer Fettsäure, die bei regelmässigem Verzehr das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringert (wie in mehreren Studien nachgewiesen). 

Seefisch ist ein echter Schatz ist. Das muss den Menschen wieder nahe gebracht werden, auch durch die Küchenchefs der Region, die ihren Gästen diese Gerichte empfehlen sollten, um die Nachfrage und das Bewusstsein für die genannten Aspekte zu steigern und so die lokale kulinarische Kultur zu bewahren.